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Fachwerkgefluester aus dem Eichsfeld und anderswo

Autor:
Creativo Initiativgruppe für Literatur, Wissenschaft und Kunst
Verlag:
Fabuloso Verlag
Erscheinungsjahr:
2017
Sonstiges:

250 Seiten
15 Zeichnungen
Preis: 9,80 Euro
ISBN 978-3-945346-63-1

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Oder direkt beim Autor.
Leseprobe
Der Stadtschreiber Nur noch die letzten Stufen der Martinitreppe hinauf, dann war es nicht mehr weit bis zum Hansehaus. Robert freute sich darauf, wieder einmal an dem Seminar zum kreativen Schreiben teilnehmen zu können und war gespannt, wie viele Teilnehmer diesmal dabei sein würden. Nun musste er noch an der Martinikirche vorbei und den schmalen Durchgang zwischen dieser und dem sogenannten Windloch, einem der ältesten und wohl dem kleinsten Fachwerkhaus in der Mindener Altstadt, passieren. Hier hatte im Mittelalter der Stadtmusikus gewohnt, zu dessen Aufgaben neben dem Orgelspiel in den Gottesdiensten auch Wächter- und Türmeraufgaben gehört hatten. Heute, am Freitagabend, hatte er diesen Weg gewählt. Morgen würde er sicherlich wegen des relativ frühen Seminarbeginns ohne Probleme einen Parkplatz auf dem Königswall finden und dann auf seinem Weg durch die alte Kirchstraße und die Ritterstraße noch viele andere der denkmalgeschützten Fachwerkbauten in der Mindener Altstadt passieren. Das Hansehaus, welches im Jahr 1547 als Backsteingiebelhaus erbaut wurde, war ein idealer Ort für das Seminar zum kreativen Schreiben. Der Seminarleiter verstand es immer wieder, die Teilnehmer zum Schreiben zu motivieren und dabei Gedichten und Kurzgeschichten zum Entstehen zu verhelfen. Im Hansehaus warteten bereits acht weitere Seminarteilnehmer. Drei kannte Robert aus früheren Seminaren, fünf schienen erstmals dabei zu sein. Wie immer begann die Veranstaltung mit dem ersten Ton des 18.00 Uhr-Geläuts der Martini-Kirche. Gut drei Stunden später ging Robert den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Er fragte sich, wie ein Mensch, ja vielleicht eine ganze Familie, in einem so kleinen Haus wie dem Windloch wohnen konnte. Für ihn war das unvorstellbar. Die damit verbundenen Gedanken hingen ihm auf dem Weg zum Parkhaus und der Heimfahrt noch weiter nach. Als er am nächsten Morgen wie geplant das Hansehaus von der anderen Seite erreichte, konnte er es nicht lassen, zunächst daran vorbei zu gehen und noch mal einen langen Blick auf das Windloch zu werfen. „Wie haben Menschen dort unter so beengten Umständen überhaupt leben können?“, fragte er sich in leisem Selbstgespräch. Nach dem für das Seminar typischen Schreiben eines Morgengedichtes wurde die Aufgabe gestellt, ein Gedicht oder eine Kurzgeschichte zu einer vorgegebenen historischen Begebenheit zu verfassen. Dazu erhielt jeder Teilnehmer einen kleinen Zettel, auf welchem der historische Bezug für seine Geschichte stand. Bei Robert war es: „Minden, kurz nach Goethes Tod im Jahr 1832“. Was sollte er dazu wohl schreiben? Er blickte von seinem Platz durch die rückwärtigen Fenster des Hansehauses genau auf das Windloch und fragte sich, wie mochte dort das Leben kurz nach Goethes Tod ausgesehen haben? Plötzlich hatte er den Anfang einer Geschichte gefunden und fing an zu schreiben … Der Hahn im nachbarlichen Hühnerhof krähte zum ersten Mal. Heinrich Rolfing schälte sich aus den dicken Decken heraus, die er zum Schutz vor der nächtlichen Kälte in sein Bett gelegt hatte. Zurzeit, man schrieb den März des Jahres 1832, war es nachts immer noch ziemlich kalt, obwohl tagsüber die Sonne schon recht kräftig schien. Die Scheiben des Fensters waren von innen beschlagen, aber er sah am goldenen Lichterglanz, dass keine Wolken die aufgehende Sonne verdeckten. Das versprach ein schöner Tag zu werden. Nach dem dritten Krähen saß er schließlich auf der Kante seines Bettes. Wenn man denn das Holzgestell, das er sich von seinem kärglichen Gehalt als neuer Buchhalter der Stadt leisten konnte, als „Bett“ bezeichnen wollte. Eigentlich war es ja zu klein für ihn, aber mehr Platz war nicht vorhanden. Das Haus, welches ihm die Stadt Minden für seine Funktion als Buchhalter überließ, war nun mal das kleinste in der ganzen Stadt. Für ihn, als alleinstehende Person ging es ja noch an, aber wie sein Vorgänger mit den acht Kindern hier gewohnt haben mochte, überstieg sein Vorstellungsvermögen. Da saß er nun und sinnierte über den vor ihm liegenden Tag. Er würde gleich eine Tasse Milch trinken, dazu den verbliebenen Kanten Brot vertilgen und dann frisch gestärkt an die Arbeit gehen. Heute musste er die Bücher des vergangenen Jahres prüfen. Daran ging kein Weg vorbei. Sein Vorgesetzter hatte zwar gesagt, das bräuchte er nicht, da wäre alles in Ordnung. Er müsse nur unterschreiben. Aber nicht mit ihm! Nicht mit Heinrich Rolfing! Eine Buchführung, die er unterschreiben sollte, die wollte er auch prüfen. Wo Heinrich Rolfing unterschrieb, war in Sachen Buchführung alles in Ordnung. So war es bisher gewesen und so sollte es auch bleiben! Er erhob sich, immer noch gut gelaunt, und begab sich an den Waschtisch. Frisch gewaschen und rasiert frühstückte er wie geplant und ging anschließend zum Kontor. Dort tat er seit einigen Monaten seinen Dienst als Buchhalter. Die Bezahlung war ziemlich mickerig, aber zumindest kam das Geld regelmäßig und reichte für ihn als alleinstehenden Junggesellen zum Leben aus. Im Kontor angekommen, stellte er sich an sein Stehpult und begann mit der Prüfung. Zunächst war alles in Ordnung, so wie es zu erwarten war. Aber dann stieß er auf eine kleine Unstimmigkeit. Klein und eigentlich unbedeutend. Aber es war ganz klar eine Unstimmigkeit. Und Unstimmigkeiten gab es bei Heinrich Rolfing nicht! Er suchte nach Belegen. Er holte die Bücher der vergangenen drei Jahre hervor. Er prüfte Alles und Jedes wieder und wieder. Worauf war er hier bloß gestoßen? Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Das war ja nicht zu glauben! Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Ihm wurde schwindelig. Er konnte es nicht fassen! Wie hatte dies all die Jahre übersehen werden können? Er musste sich einen Augenblick hinsetzen. Was konnte er tun? Was musste er tun? Er war verzweifelt, völlig aufgelöst. Er hatte untrügliche Belege dafür gefunden, dass der Bürgermeister seit einer Reihe von Jahren riesige Summen aus dem Stadtbudget abgezweigt hatte, um damit seine persönliche Garde zu finanzieren. Zum Stopfen dieser Löcher hatte er Kredite aufgenommen und sicherte diese mit faulen Wertpapieren ab. Er hatte eine riesige Blase erzeugt, die jetzt kurz vor dem Platzen stand. Heinrich Rolfing grübelte und grübelte. Wie konnte er hier nur herauskommen. Er dachte dabei gar nicht an seine persönliche Situation, an die Gefahr, in der er plötzlich stand. Er dachte nur daran, wie er die Situation lösen könnte, ohne dass die ganze Stadt oder gar das ganze Land Schaden nahm. Dann – endlich – reifte in ihm ein Plan. Ja, so könnte es gehen! Ja! Genauso würde er es machen! „So ihr Lieben, eure Schreibzeit ist zu Ende!“, sagte in diesem Moment der Seminarleiter. Robert schreckte auf. Vor ihm lagen einige eng beschriebene Blätter seines Schreibblocks. Er war wohl völlig ‚abgetaucht‘ und in einen wahren Schreibflow gekommen. Schade, dass er nicht mehr dazu gekommen war, die Lösung des Rätsels niederzuschreiben. Hier, in der Seminarrealität, hatte er keine Vorstellung davon, wie denn Heinrichs Lösung des Problems wohl ausgesehen hatte. Aber auch so, irgendwie unvollendet, gefiel ihm, was er geschrieben hatte. Vielleicht würde diese Geschichte ja eines Tages in seinem ersten Buch stehen, wenn er denn je eines veröffentlichen sollte.
Rezension

Klappentext

Das Eichsfeld ist für seine wunderschönen alten Fachwerkbauten weit über seine Grenzen hinaus berühmt. Seit Jahrhunderten prägen diese architektonischen Relikte aus längst vergangener Zeit die Region mit ihrem einzigartigen Charme. Doch auch „anderswo“ gibt es sie zu besichtigen, die sehenswerten historischen Fachwerkhäuser.
Was sie uns wohl alles erzählen können? Welche Geschichten, Geheimnisse und sagenhaften Erzaehlungen in diesen alten Häusern und Burgen mit ihren knarrenden Balken und mystischen Kellern verborgen liegen.

Inspiriert von der Aktion „Fachwerk5Eck“, die von den Städten Duderstadt, Osterode, Northeim, Einbeck und Hann. Münden ins Leben gerufen wurde, haben wir CREATIVO-Autoren sowie drei Gastautoren eben diese Geschichten und Gedichte zu Papier gebracht. Jeder auf seine eigene Art und Weise.
So ist mit diesem Buch ein bunter literarischer Strauß entstanden, der alle Genres enthält: Krimis, Gedichte, Mystisches, Erzaehlungen von damals und heute, Lustiges und Nachdenkliches, Spannendes und Trauriges.

Sie erzählen aus Orten des Eichsfelds sowie aus Göttingen, Roringen, Osterode, Northeim, Minden, Korbach, Blankenburg, Bamberg und Altensalzwedel.