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Frühe Jahre – Schulzeitgeschichten

Autor:
Werner Heinemann
Verlag:
Fabuloso Verlag, Bilshausen
Erscheinungsjahr:
2012
Sonstiges:

Taschenbuch
78 Seiten
Preis 5,90 €
ISBN 978-3-935912-75-4

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Leseprobe
Ab Seite 10
Vom ersten Tag an war mir die Schule ein Gräuel. Der Zwang, auf einem kleinen Holzstühlchen hinter einem niedrigen Schreibpult sitzend, total uninteressante Aufführungen beiwohnen zu müssen, erschien mir eine ungehörige und ungerechte Verletzung meines Persönlichkeitsrechts auf freie Selbstbestimmung zu sein. Zu allem Unglück war ich gezwungen, auf meinem Holzstühlchen neben einem Mädchen mit langen, rotbraunen Zöpfen zu hocken. Einem Mädchen!
Es war ja nicht so, dass ich nichts lernen wollte. Es fiel mir nur schon als Kleinkind schwer, mich dem Willen anderer bedingungslos unterzuordnen. Ich wollte lernen und zwar ganz speziell Lesen. Vorerst wollte ich deshalb das Lernen auf das Lesen konzentrieren, damit sich der Erfolg schneller einstellte und nicht von vermeintlich Unwesentlichem belastet und abgelenkt würde. Da stand ich allerdings, was ich damals nicht verstand, im erheblichen Widerspruch zum vorherrschenden Lehrplan, der das so nicht vorsah.
Obwohl ich sie nicht einmal berühren durfte, wollte ich insbesondere das lesen können, was in den Büchern meines Bruders stand. Und vor allem wollte ich wissen, was in diesem dicken Buch, das meine Großmutter mit einer gehörigen Portion Pathos die Luther-Bibel nannte, geschrieben stand.
Doch welch eine Enttäuschung! Die Buchstaben und das Schriftbild der Luther-Bibel stimmten nicht mit denen von meiner Lehrerin überein. Nein, so ging das nicht! Ich protestierte. Ich wollte richtige Buchstaben lernen. Noch heute sehe ich ihre schönen, großen, braunen Augen auf mich verständnislos herabblicken. …


Ab Seite 49
…Wir kamen gerade richtig. Unser Lehrer rief seine Schäfchen herbei. Seine Getreuen hatten alles Mögliche herbeigeschafft und auf den Tischen ausgebreitet.
Vor einem Tisch mit Gräsern, Blättern, Blumen, Wurzeln, Zweigen und anderen Pflanzenteilen, kam ich gegenüber von Ina zu stehen. Sie sah mich nicht an, verfolgte aber scheinbar interessiert den lehrreichen Erläuterungen über Elkes Käfer am Nachbartisch. Es blieb unsicher, um welche Art von Käfer es sich überhaupt handelte. Elke war froh, dass sie nun den armen Kerl dahin laufen lassen konnte, wo er gedachte hinlaufen zu müssen. Sie pustete durch. „Boa, war das anstrengend.“
Zum Glück brauchte ich mir nicht mehr viele schlaue Ausführungen über die ausgelegten Naturgaben anzuhören, da sich unser Lehrer entschloss, etwas zeitiger aufzubrechen. Er glaubte, ein spätsommerliches Gewitter zu wittern. Der Geruch sei typisch für schwerste Unwetter. Tatsächlich waren dichte Wolken am Himmel aufgezogen. Aber, um es vorwegzunehmen, es sollte auch in den nächsten Tagen kein einziger Tropfen vom Himmel fallen.
Auf einem schmalen Pfad, der sich an das kleine Rinnsal anlehnte, stiegen wir hinab ins Tal. Unten angekommen war aus dem Rinnsal ein kleiner Bach geworden. Kleine Rast. Matten legte mir die Hand auf die Schulter. „Borgst du mir eins?“
Ich verstand nicht, was er meinte. „Na, von den Parisern. Du wirst ja nicht alle drei brauchen, oder?“ Ich verstand jetzt. Klar, sie mussten doch noch in der Hosentasche sein.
„Hier“, ich hielt ihm das Heftchen hin.
„Da sind drei drin. Einer reicht.“
Ich war froh, dass ich Mattens Wunsch richtig mit Lembergers Geschenk in Verbindung gebracht hatte. Ich zeigte mich großzügig. „Kannst sie alle haben.“
„Du bist ein echter Kumpel“, lobte Matten aufrichtig.
Bevor die letzte Etappe in Angriff genommen wurde, wurde unser Lehrer seinem Ruf gerecht, immer wieder für Überraschungen zu sorgen. Da wir früher zurück wären, hätten wir die Zeit bis zum Abendessen zur freien Verfügung. Aber nach dem Abendessen wollte er mit uns Volkstänze einüben. Der Herbergsvater hätte ihm bereits zum Vorspielen volkstümlicher Musik sein privates Tonbandgerät geliehen.
Diese Aussicht über die Gestaltung des Abends kam bei vielen überhaupt nicht gut an. Terry rutschte an einem alten, hohen Gedenkstein, an dem er mit den Rücken lehnte, willen- und kraftlos herunter. „Ich fasse es nicht! Nein, ich fasse es nicht! Kein Stück. Ich bewege mich kein Stück mehr.“
Die Lehramtskandidatin hockte sich augenblicklich neben ihn und hieb ihm ihre kleine Faust in die Rippen. „Hey, so ein starker Kerl will doch nicht schlappmachen.“ Terry rieb sich die Rippe und presste mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor: „Kein Stück!“ Ole und Lemberger stellten Terry keuchend wieder auf die Beine. Es ging weiter.
Hella behauptete, sich eine Blase gelaufen zu haben. Damit löste sie Gespräche über Blasen an den Füssen, von den Möglichkeiten der Entstehung, über die Schmerzen und Behandlungsmethoden, bis zur Vorbeugung gegen den Wiederholungsfall aus. Zurück in der Herberge hatten mehrere, darunter auch Matten, sich plötzlich Blasen gelaufen. Herablassender konnte man sich nicht gebärden. Gleichgültig nahm der Lehrer meine Strafarbeit in Empfang. „Noch etwas?“ Nein, nichts, gar nichts, dachte ich und ging.
Da sich herausgestellt hatte, dass die Herbergsmutter als kriegsgediente Hilfskrankenschwester Marschblasen zu behandeln wusste, heilten die meisten wunden Füße von ganz alleine ab. Hellas Blase war von der Herbergsmutter als Lappalie bezeichnet und verarztet worden.
Rezension

Klappentext

Früher war alles besser! Wirklich?

Die Schulzeit der 60er Jahre war für die Jungen Wilden voller Stolpersteine und Fettnäpfchen.
In den 50ern erstarrte Lehrer, übermotivierte Geistliche, rohe Mitschüler oder gar die Wirren der ersten zarten Liebe machten einem das Leben schwer.
Mit sarkastischem Blick auf die eigene Schulzeit gibt der Autor heitere bis nachdenkliche Erlebnisse und fantasievolle Anekdoten aus einer Zeit zum Besten, da es weder Handy noch PC und Internet gab.

Eine gekonnt gewürzte Lektüre für alle, die sich gern an die Jugendzeit in den 50er und 60er Jahren erinnern, aber auch für die Kinder und Jugendlichen der Handygeneration!

Michaela Schreier