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Von der Schneekoppe ins Weserbergland

Autor:
Gertrud Keitel
Verlag:
Fabuloso
Erscheinungsjahr:
2022
Sonstiges:

159 Seiten
Paperback
Preis: 10.00 €
ISBN 978-3-949150-08-1

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Leseprobe
Vorwort Es war ein weiter Weg vom Sudetenland bis ins Weserbergland. Zu Beginn bin ich diesen Weg nicht allein und nicht freiwillig gegangen. Meine Geschichte beginnt in einem Haus am Rande des Riesengebirges. Mein Weg führte über Hessen bis ins Weserbergland, Inzwischen sind fast 80 Jahre vergangen, seit wir meine Heimat verlassen mussten. Ich kann heute sagen, meine Heimat ist hier in Niedersachsen, obwohl meine Wurzeln auch dort verankert bleiben, wo ich geboren wurde. Es sind Geschichten, die ich selbst erlebt habe. Ich war sechs Jahre alt, als wir vertrieben wurden. Vieles ist klar in meinem Gedächtnis gespeichert. Es gibt aber auch Begebenheiten, die ich nach Erzählungen niedergeschrieben habe. Meine Eltern in Hessen hatten immer ein offenes Haus und oft kamen deren Geschwister zu uns zu Besuch. In den fünfziger Jahren waren die Geschwister meiner Mutter aus dem östlichen Teil Deutschlands gern unsere Gäste. Bei diesen Treffen wurde viel erzählt, in den ersten Jahren nach der Vertreibung viel geweint und in späteren Jahren viel gelacht. Ich liebte diese Familienzusammenkünfte und besonders eine Schwester meiner Mutter war eine fabelhafte Erzählerin. Meine Erlebnisse habe ich stets so aufgeschrieben, wie ich sie erlebt und in meinem Gedächtnis gespeichert habe. Ich weiß, dass meine beiden älteren Geschwister manches anders erinnern. Meine Schwester, die vier Jahre jünger ist als ich, hat die Zeit der Vertreibung noch nicht bewusst erlebt. So beginne ich mit Müttern und Großmüttern, die das Leben unserer Familie geprägt haben. Januar 2021 Starke Frauen Mütter Je älter ich werde, umso mehr denke ich an meine Mutter zurück und wie sie mein Leben bestimmt hat. Warum hat sie jenes so und jenes anders gemacht, und wie hat sie mein Leben geprägt? Sie hat uns Kindern wenig Freiheiten gelassen und wir haben uns nicht widersetzt. Sicher hatte sie eigene Erfahrungen und wollte uns Kinder beschützen. Was hat sie von ihrer Mutter übernommen? Nun bin ich selbst Mutter, Großmutter und seit Kurzem Urgroßmutter. Wie werden eines Tages meine Töchter und Enkeltöchter von mir denken und sprechen? Und so beginne ich, über meine Großmütter zu schreiben. Es sind alles Erinnerungen an längst Vergangenes. Manches ist klar und als Bild gespeichert, Anderes habe ich aus Erzählungen meiner Verwandten niedergeschrieben. Seit der Geburt meiner Oma sind 150 Jahre vergangen. Die Welt und die Frauen haben sich verändert, besonders auch wir Großmütter. Ich möchte keine Wertungen vornehmen, bin aber froh, in der heutigen Zeit zu leben. Damals wie heute gibt es starke Frauen, die sich in Ehen behaupten und wieder starke Töchter erziehen. Meinen Großmüttern ist es gelungen und über mich müssen meine Töchter eines Tages urteilen. Großmutter Anna Was für ein Leben hat meine Großmutter geführt? Ich habe sie noch kennen gelernt. Ich war sehr klein, als sie uns manchmal besuchte. Sie wurde mit einer Kutsche gebracht, der Weg war für sie zu Fuß zu weit. Sie blieb dann einige Tage und wurde wieder abgeholt. Für mich waren es immer Festtage. Sie saß dann in der Stube, die Hände im Schoß und erzählte. Nicht nur wir Kinder saßen ihr zu Füssen, nein, meine Mutter hörte schon mal auf, mit der Nähmaschine zu rattern und wandte sich ihr zu. Aber Großmutter Anna war der Mittelpunkt. Sie starb auch bei uns und es war eine große Traurigkeit in den kommenden Tagen in unserem Haus. Ich weiß noch, wie sie in dem schwarzen Wagen mit den Pferden, die schwarze Decken trugen, weggefahren wurde und wir folgten ein Stück des Weges. Alles andere ist bei mir vergessen. Als junge Frau besuchte ich den Friedhof ihres Dorfes. Es gab fast keine deutschen Gräber mehr, aber dann fanden wir den Grabstein ihres ältesten Sohnes, meines Onkels, den ich nie kennen gelernt habe. Sein Foto war in den Stein eingefügt worden und so hatte das bescheidene Denkmal Jahrzehnt überdauert. Großmutter Anna wurde im Jahr 1869 geboren und sie starb im Sommer des Jahres 1944. War es damals, als sie heiratete, eine Liebesheirat oder wurde es von den Eltern bestimmt? Großmutter war in allen Entscheidungen gleichberechtigt. Sie war auf den Hof meines Opas mit einem Gespann Ochsen gekommen und mit ihrer Mitgift auf einem Leiterwagen. Dies spricht dafür, dass sie vermögend und von ihren Eltern gut versorgt war. Sie bekam in ihrer Ehe zehn Kinder, fünf Mädchen und fünf Jungen. Mein Opa starb bereits im Jahr 1921. Die Ehe war bestimmt nicht frei von Spannungen. Aus den Erzählungen hörte ich immer, dass mein Opa ein Jäger und Spieler war. War irgendwo Jagd angesagt oder gab er selbst eine Jagd, musste alles andere zurückstehen. Das war wohl das kleinere Übel. Mehr Kummer hatte Großmutter mit der Spielleidenschaft. Opa spielte jede Woche im Wirtshaus mit den anderen Bauern Karten. Welches Spiel es genau war, weiß ich nicht, aber es ging um hohe Einsätze. Großmutter saß dann nachts in der Stube und wartete auf ihn. Je später es wurde, umso größer wurden ihre Sorgen. Wenn er dann mehr oder weniger betrunken nach Hause kam, sorgte sie dafür, dass er ins Bett fand, und sie versuchte am nächsten Morgen, den Schaden zu begrenzen. Nach den Erzählungen hat er in einer Nacht einmal einen Ochsen verspielt, damals ein kleines Vermögen. Er starb durch eine Krankheit, die er sich durch die Jagdhunde zugezogen hatte, nämlich durch einen Blasenwurm, so die damalige Diagnose. Von da an lebte Großmutter weiter im Haus bei der Familie ihres ältesten Sohnes. Trotzdem wurden alle Kinder bei der Heirat abgefunden. Jeder Junge bekam einen Ochsen und die Mädchen eine Kuh. Konnten sie die Tiere nicht gebrauchen, so bekamen sie den Wert ausgezahlt. Großmutter bewohnte eine kleine Kammer mit ihren jüngeren Kindern, die noch nicht verheiratet waren. Die Mahlzeiten aller und die Freizeit an Sonn- und Feiertagen, fanden aber in der großen Stube des Hofes statt. Dann gab es in meinem Leben noch die Mutter meines Vaters, Oma Minna. Sie lebte bei uns im Haus. Ich habe zu ihr nie eine Verbindung gehabt und habe auch fast keine Erinnerung an sie. Sie war eine große, ernste Frau, und ich fürchtete mich immer ein wenig vor ihr. Wenn ich bei ihr in der Stube war, spielte ich mit Opa, und er nahm mich in Schutz, wenn mich die großen Brüder ärgerten. Aber wahrscheinlich tue ich ihr Unrecht. Auch sie hatte ihr Schicksal. Hat sie meinen Opa aus Liebe geheiratet? Ich glaube es kaum. Mein Opa war mit ihrer Schwester verlobt und die Beiden wollten heiraten. Opa hatte keine Arbeit und kein Geld. So beschloss er, in die Fremde zu gehen und sich Arbeit zu suchen. Die fand er in Österreich. Seine Braut war aber schwanger, bekam ein kleines Mädchen und starb bei der Geburt des Kindes. So nahmen sich die Schwester und die Eltern der Verstorbenen des Mädchens an. Nach zwei Jahren kam mein Opa zurück, und er heiratete die Schwester seiner ehemaligen Verlobten und sie wurde meine Oma. Er bekam mit ihr noch vier Söhne und eine Tochter. Der jüngste Sohn war mein Vater. Die erste Tochter trug den Mädchennamen meiner Oma. Sie hatte eine Rückgratverkrümmung, einen Buckel. Man sagte, sie hat die Brüder immer hüten und tragen müssen. Ob es so war? Sie lebte zeit ihres Lebens bei uns in der Familie und nicht bei ihrer Mutter. Trotz ihrer Behinderung arbeitete sie in einer Weberei. Es war eine schwere Arbeit und das zwölf Stunden an sieben Tagen
Rezension

Klappentext

Es war ein weiter Weg vom Sudetenland bis ins Weserbergland. Zu Beginn bin ich diesen Weg nicht allein und nicht freiwillig gegangen.

Meine Geschichte beginnt in einem Haus am Rande des Riesengebirges. Mein Weg führte über Hessen bis ins Weserbergland. Inzwischen sind fast 80 Jahre vergangen, seit wir meine Heimat verlassen mussten. Ich kann heute sagen, meine Heimat ist hier in Niedersachsen, obwohl meine Wurzeln auch dort verankert bleiben, wo ich geboren wurde.

Meine Erlebnisse habe ich stets so aufgeschrieben, wie ich sie gesehen und in meinem Gedächtnis gespeichert habe. Ich hoffe, dass meine Generation die letzte ist, die in Deutschland das entsetzliche einer Vertreibung erlebt hat.