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Freiheit … hier und anderswo

Autor:
Creativo Initiativgruppe für Literatur, Wissenschaft und Kunst
Verlag:
Fabuloso Verlag
Erscheinungsjahr:
2019
Sonstiges:

228 Seiten
ISBN: 978-3-945346-75-4
Preis: 9,80 €

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Oder direkt beim Autor.
Leseprobe
Grenzübertritt von Barbara Merten

November 1989. Ein überbordendes Gefühl von Solidarität mit den Menschen aus Ostdeutschland machte sich in unseren Herzen breit. Damals geschah das Unvorstellbare: Die unüberwindbare Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland wurde geöffnet.

Einfach so, weil Menschen ihre Vorstellung vom Leben lautstark aussprachen, nicht mehr blind gehorchten, sich wehrten. Im gemeinsamen Handeln der Montagsdemonstrationen und in tiefer Überzeugung, dass es jedem Menschen erlaubt sein muss, selbstbestimmt zu leben und zu reisen, brachten die Bürger der Deutschen Demokratischen Repu­blik ihre Regierenden zu Fall. Friedlich, ohne Waffen. Durch Einigkeit, gepaart mit dem festen Willen sich durchzusetzen, schafften sie miteinander den Weg in die Freiheit.

Wir waren fasziniert, dass die Menschen aus dem totalitär geführten Staat so zusammenhielten, obwohl sie doch ständig überwacht und bespitzelt wurden, der Eine dem Anderen nicht trauen konnte. Wäre das bei uns – im Westen – möglich gewesen? Niemand aus unserem Verwandten- und Freundeskreis konnte sich das vorstellen.

Die Ostdeutschen kamen zu uns herüber, viele küssten aus Dankbarkeit den westdeutschen Boden. Es schien, als wären sie aus langer Gefangenschaft befreit worden. Doch das stimmte nicht. Sie hatten es selbst geschafft! Welch ein Affront gegen die Herrschenden der DDR! In diesen Tagen voller Emotionen bewunderte ich die Menschen von drüben, fand sie unheimlich stark. Sie hatten sich nicht verbiegen lassen, trotz Jahrzehnte langer Bevormundung und Einschüchterung. Was hatten sie in all den Jahren mitgemacht? – Und wir? Hatten wir nur einfach Glück gehabt?

Neugierig hörten wir ihre Lebensgeschichten, staunten, wie viel uns miteinander verband, wie viel uns aber auch trennte. Das Glücksgefühl war leibhaft spürbar, überall. Ein neues Wir-Gefühl verband uns.

Bürgerinitiativen, Kirchengemeinden und Friedensgruppen organisierten Lichterprozessionen, Diskussionsrunden, gemeinsame Gottesdienste. Jeden Tag waren wir unterwegs oder hatten Besuch von Verwandten. Es drehte sich nur noch um Reisefreiheit und Wiedervereinigung. Der Alltag war nebensächlich geworden. An die Aktion Menschenkette, die von Duderstadt über den Grenzübergang Gerblingerode nach Teistungen entstehen sollte, erinnere ich mich auch heute nach dreißig Jahren noch.

Voller Begeisterung hatten wir uns am Nachmittag mit Freunden samt Kind und Kegel in die Menschenkette eingereiht. Viele Familien waren dem Aufruf gefolgt. Unser Auto hatten wir am Grenzparkplatz in Gerblingerode abgestellt, um am Abend mit den Kindern schneller heim zu kommen. Wir wollten die Einbahnstraße nach Wes­ten aufbrechen, den unbekannten Teil Deutschlands im Osten erobern.

Zu besonderen Anlässen hatte ich schon DDR-Luft geschnuppert, denn meine Familie war seit der Grenzziehung 1945 getrennt worden. Jede Gelegenheit zu einem Treffen mit den Verwandten in Ostdeutschland hatten wir genutzt, um rüber zu fahren. Zu Hochzeitsfeiern, Jubiläen, etc. durften wir, nach aufwändiger Beantragung einer Einreisegenehmigung bei den DDR-Behörden, über den kleinen Grenzverkehr ins zwanzig Kilometer entfernte Worbis reisen.

Das dortige Kulturhaus war meistens unser Treffpunkt. Da die Geburtsorte meiner Eltern aber in der fünf Kilometer breiten Sperrzone lagen, waren wir nie in ihr Heimatdorf gekommen, obwohl wir von Duderstadt aus hingucken konnten. An der Beerdigung meines Großvaters nahmen wir auf westlicher Seite mit Ferngläsern teil, sangen mit den Verwandten im Osten die Lieder, die herüberschallten und konnten doch mit niemandem sprechen.

Nun im November 1989 schien alles Verbotene möglich. Im grenznahen Teistungen hofften wir die Sperrzone betreten zu können, um mit den Menschen vor Ort zu reden, die neu gewonnene Freiheit bei ihnen zu feiern. Außerdem wollten wir uns die Überreste vom Kloster Teistungenburg anschauen, das früher eng mit der Geschichte Duderstadts verbunden war und während der DDR-Diktatur zu großen Teilen gesprengt worden war.

So zogen wir mit Hunderten von Menschen singend und Kerzen tragend über die Grenze, von ostdeutschen Soldaten skeptisch beäugt. Niemand verwehrte uns den Zugang. Wie Statisten standen junge Grenzer am Rand. Nur einige regelten den massenhaften Autoverkehr an der Passkontrolle. Dunstwolken von Abgasen waberten in der Luft. Der Ge­stank der Zweitakter-Motoren von Trabbi und Co. brannte beißend in Nase und Rachen. Wir Fußgänger passierten die Grenzanlagen ohne Kontrolle und marschierten voller Erwartung und Anspannung in die Sperrzone. Das Gefühl beobachtet zu werden, das mich immer beschlichen hatte, wenn wir mit dem Pkw eingereist waren, stieg auch jetzt in mir auf. Ich begann, mich unwohl zu fühlen. Brachten wir uns und unsere vier Kinder unnötig in Gefahr? Wir wussten doch, wie unberechenbar und feindselig die Grenzkontrolleure sein konnten. Offiziell hatten wir noch kein Recht hier zu sein. Hatten die anderen, die mit uns kamen und sich neugierig umschauten, ähnliche Gefühle?

Das Einheitsgrau der Häuser, der Mangel an Farbe und Baumaterial war unübersehbar und bedrückte mich noch mehr. Würde die Grenze noch offen sein, wenn wir zurück wollten? Die Fragen unserer vier Kinder, warum es hier so anders aussah als zuhause, lenkten mich ab. So gingen wir zusammen mit den Freunden und ihren drei Mädchen wei­ter in Richtung Kloster Teistenburg. Mein Mann erzählte aus der Geschichte des Klosters und machte uns neugierig auf den jetzigen Zustand der Gebäude, die nicht gesprengt worden waren. Leider war der Eingang zur Klosteranlage durch ein großes Tor versperrt. Enttäuscht schauten wir durch die rostigen Eisenstäbe, konnten aber nicht viel erkennen. Eine ältere Frau beobachtete uns, sprach uns schließlich an. Wir kamen ins Gespräch. Sie war hier in Teistungen geboren und alt geworden und wusste viel zu erzählen. Gespannt lauschten wir ihrer Geschichte wie einer Märchenerzähle­rin. Selbst die Kinder hörten aufmerksam zu. Am meisten faszinierte sie der Klang ihrer Sprache, die ihnen fremder war als bayrisch oder friesisch. Noch andere Menschen aus dem Ort sprachen uns freundlich an. Ihre Offenheit uns gegenüber war wie bei einem Treffen unter Freunden.

Es war dunkel geworden, als wir den Rückweg antraten. Die Kinder waren hungrig, durstig und müde. Mit Laufspielchen und Rätseln versuchten wir sie aufzumuntern.

Vor uns gingen Viele zurück. Ich schaute mich um. Waren wir die Letzten? Wir riefen die Kinder, schneller zu gehen, um nicht den Anschluss an die anderen Fußgänger zu verpassen. Der Autoverkehr floss nach wie vor rege. Die Trabis kehrten zurück gen Osten. Die westdeutschen Autofahrer, die wie wir das fremde Deutschland erkundet hatten, fuhren heimwärts gen Westen. Wir grüßten einige Duderstädter, die an uns vorbeifuhren, trösteten unsere quengelnden Kinder, dass es nicht mehr weit bis zu unserem Auto sei. Als wir das Zollhäuschen passieren wollten, trat ein Ostdeutscher Soldat auf uns zu. Aufrecht und stolz trug er seine Uniform. Silbern geflochtene Schulterklappen mit einem Rangstern wiesen ihn als höher gestellten Beamten aus. Mein Mann raunte Unheil ahnend: „Schiet. Ein Major.“

Der Beamte stoppte uns. „Moment! Wo wollen Sie hin?“ Seine barsche sächsische Sprache ließ uns innehalten. Wir schauten uns an. „Nach Hause“, antworteten wir im Chor.

„Hier ist aber kein Fußgängerübergang. Diesen Grenz­übergang der Deutschen Demokratischen Republik können Sie ausschließlich mit dem Pkw passieren. Fußgänger haben keinen Durchlass.“

„Aber wir sind doch hier hineingekommen! Und da vorn gehen doch die anderen Fußgänger!“, wandte mein Mann ein und zeigte auf die Menschen vor uns. Der Major drehte sich mit dem Rücken gen Westen, so dass wir die einzigen Fußgänger in seinem Blickfeld waren.

„Hier geht niemand!“, antwortete er.

„Aber schauen Sie doch nach vorn! Da sind die anderen. Wir waren doch alle zusammen!“, rief meine Freundin, die den Sinn des Ganzen wie wir nicht verstand. „Hier geht niemand!“, wiederholte der Major in scharfem Ton und wippte mit dem Fuß auf die Zehenspitzen, um größer zu sein. „Wenn Sie ein anderes Land betreten, müssen Sie sich an deren Regeln halten. In der BRD scheint ja Jeder machen zu können, was er will.“

„Warum haben Sie die anderen Menschen passieren lassen und uns nicht?“, fragte ich. „Unser Auto steht auf dem Grenzparkplatz in Gerblingerode und die Kinder sind müde. Wir wollen nach Hause“, versuchte ich, ihm zu erklären.

„Verstehen Sie kein Deutsch? Hier – geht – niemand! Ich denke, die Bürger im Westen sind so schlau! Sie wissen doch alles besser!“, konterte der Major bissig. „Hier gehen Sie jedenfalls nicht rüber.“

Wir diskutierten mit ihm hin und her, versuchten freund-lich zu sein und seine Machtstellung nicht infrage zu stellen. Panik stieg in uns auf. Die Kinder quengelten, einer musste auf die Toilette, die Nerven lagen blank. Der Oberst ließ nicht mit sich reden. Hunderte hatte er gehen gelassen. Nur wir durften nicht. Schließlich traten wir ein paar Schritte zurück, um uns zu beratschlagen. Ein junger Grenzsoldat, der alles mit angehört hatte, trat hinter dem Zollhäuschen unauffällig auf uns zu. Er sprach meinen Mann und unseren Freund leise an. „Das ist ein ganz scharfer Hund. Mit uns macht er das auch so“, tuschelte er, ohne die Lippen zu bewegen, den Major immer im Blick. Wir spürten seine Anspannung, aber auch den Willen uns zu helfen. „Am besten, Sie halten ein Westauto an und bitten mitgenommen zu werden“, sagte er zu meinem Mann und unserem Freund. „Aber wir haben vier Kinder. Wir passen nicht in ein anderes Auto, auch wenn meine Frau und ich uns aufteilen. Ich setz doch kein Kind allein zu Fremden“, sagte mein Mann.

„So meinte ich das nicht“, raunte der Grenzer. „Nur Sie beide fahren rüber, holen ihre Autos und reisen offiziell wieder ein. Dann packen Sie ihre Frauen und Kinder und dürfen zusammen ausreisen.“

Die Männer schauten sich an. „Das darf nicht wahr sein!“, sagte unser Freund kopfschüttelnd. Unschlüssig standen wir am Übergang. Mussten wir uns das bieten lassen? Vielleicht sollten wir einfach an den Soldaten vorbei gen Westen rennen. Würde der Major uns laufen lassen? Nein, da waren wir uns einig. Der würde ein Exempel statuieren. Die Grenz­soldaten gehorchten ihm, auch wenn sie anders dachten. Außerdem waren die Kinder nicht so schnell und wir letzt­endlich nicht mutig genug. Eine Eskalation mussten wir vermeiden.

Schließlich gingen die Männer zur Straße, um ein westdeutsches Auto anzuhalten. Nach ein paar Versuchen hatten sie Glück. Ein Ehepaar erklärte sich bereit, sie bis zum Grenzparkplatz mitzunehmen. Am Zollhäuschen wurden ihre Ausweise kontrolliert. Sie durften ausreisen.

Da standen wir nun, zwei Frauen mit sieben Kindern im Alter von drei bis dreizehn Jahren. Wir schauten auf die Uhr. Wie lange würde es dauern, bis unsere Männer mit den Autos zurückkämen? Durchgefroren wie wir inzwischen waren, versuchten wir, mit Hops- und Klatschspielchen die Kinder in Schach zu halten. Als allesamt dringend mussten, ließen wir sie unter greller Beleuchtung am Straßenrand Pipi machen. Inständig beteten wir, dass wir heil aus diesem schrecklichen Land herauskämen. Wir hatten eine unbändige Wut auf das politische System, auf die DDR überhaupt und speziell auf diesen Major. Ich weiß nicht, was ich ihm alles Schlechte wünschte. Es war eine Menge. Wie hatten die Bewohner des Landes diese Gängelei und Machtspielchen solange ausgehalten?

Unser Ältester entdeckte unseren Kleinbus und das Auto unserer Freunde zuerst. Nach einer dreiviertel Stunde kamen sie weit hinten in der Schlange von Trabis angefahren, um in die Deutsche Demokratische Republik einzureisen. Jedes Auto wurde natürlich kontrolliert, die Ausweise der Insassen begutachtet. Es dauerte gefühlt eine halbe Ewigkeit, bis unsere Autos den Kontrollpunkt passiert hatten. Sie mussten weiter hinten im Ort wenden, kamen zurück und wir stiegen ein. Am Kontrollhäuschen angekommen ging der Schlagbaum runter.

„Ihre Pässe bitte!“, sagte der Grenzer, als mein Mann das Fenster herunterkurbelte.

„Haben Sie etwas zu verzollen? Wollen Sie etwas ausführen?“

„Was soll das?“, fragte mein Mann, verkniff sich aber ei­nen weiteren Kommentar. Zum dritten Mal zeigte er zähne­knirschend seinen Ausweis. Glücklicherweise hatte ich meinen auch dabei. „Sind das Ihre Kinder?“, fragte der Grenzer und schaute auf die Rücksitze. „Ich will jetzt nach hause!“, fing unsere Kleine an zu weinen.

„Ja, das sind unsere Kinder. Lassen Sie uns endlich fahren. Ich muss hier raus!“, fuhr ich ihn an. Der Mann begutachtete mich kritisch. Mir schlug das Herz bis zum Hals. ‚Warum kann ich meinen Mund nicht halten? Wenn der sich auch auf die Füße getreten fühlt, kann es noch Stunden dauern’, dachte ich sorgenvoll, denn für die Kinder hatten wir keinen Ausweis. Zum Glück gab uns der Mann die Ausweise ohne Worte zurück und öffnete die Schranke. Wir fuhren los. Als wir den Grenzzaun passierten, brachen wir in Jubel aus!

„Wir haben´s geschafft! Oh Gott sei Dank!“

‚Was ist wohl aus dem Major geworden?’, fragen wir uns bis heute. Wurde er von der Bundesrepublik als Beamter übernommen und hat einen guten Posten in unserer Bundesrepublik bekommen?





Susi von Melanie Buhl:

Heute waren wir wieder gemeinsam unterwegs. Keine lange Strecke, aber in der Stadt, wo ich etwas zu erledigen hatte, kannte ich mich nicht so gut aus und hatte darum um Susis Hilfe gebeten. Widerwillig – aber es schien mir das kleinere Übel zu sein. Susi fuhr gelangweilt aber bereitwillig mit.

Einerseits war ich froh, nicht völlig allein unterwegs zu sein, andererseits ging mir meine gelegentliche Mitfahrerin mächtig auf die Nerven. Ständig kommandierte sie herum, fahr links, fahr rechts. Es war manchmal kaum auszuhalten! Besonders nervig war es, wenn Susi meinte, einen besseren Weg als ich zu kennen, obwohl ich in der Gegend aufge­wachsen war und mich bestens auskannte. Manchmal nahm ich eben lieber einen Umweg in Kauf, als durch ein Waldstück zu fahren, das mir zu düster erschien oder im Winter womöglich nicht ordentlich geräumt oder gestreut war.

Susi hatte für solche Sentimentalitäten kein Verständnis. Sie kannte sich hervorragend aus, das gestand ich ihr zu, aber diese ständige Besserwisserei trieb mich in den Wahnsinn. Wie oft hatte ich den Impuls unterdrückt, einfach anzuhalten und sie an die frische Luft zu setzen? Nein, das tat ich natürlich nicht. Manchmal war sie ja doch hilfreich und hatte gute Tipps.

Und dann Susis strikte Weigerung, nach all den Jahren zu einem vertrauten Du zu kommen. Ihre ganze unterkühlte Art nervte. Gute Freunde würden wir sicher nie werden. Es war eher eine Zweckgemeinschaft.

Die heutige Fahrt lief anfangs noch gut, Susi war freund­lich und gab sinnvolle Hinweise.

Dann kam die erste Kreuzung, an der ich mich anders entschied, als es Susi für richtig gehalten hätte. Nachdrücklich verlangte Susi zu wenden. Als ich mich weigerte, be­stand sie bockig darauf, spätestens an der nächsten Kreuzung wieder ihrem Rat zu folgen. Als ich, dort angekommen, ein zweites Mal meinen Kopf durchsetzte, verharrte Susi in beleidigtem Schweigen. Ebenso bei meinem drittem Auflehnen gegen Susis Rat. Danach folgte ich brav den Anweisungen meiner Mitfahrerin und es schien Frieden eingekehrt zu sein. Bis wir die fremde Stadt fast erreicht hatten.

Ich wusste, dass wir an der Tankstelle abbiegen mussten. Susi meinte wieder, einen besseren Weg zu kennen, und protestierte lautstark. Als wir dann kurz vor meiner bevorzugten Abfahrt waren, hatte Susi wohl die Schnauze voll. Vielleicht dachte sie sich: Was soll ich hier, wenn Tabea sowieso nicht auf mich hört? Sie löste trotzig die Verbindung ihres Saug­napfes von der Windschutzscheibe und fiel krachend und mit einem beleidigten Plopp auf das Armaturenbrett.

Ich erschrak. „Susi, wie kannst du mich jetzt im Stich lassen? Jetzt wo wir an die entscheidenden Kreuzungen kommen?“ Ich war echt sauer. Klar, ich hasste Susi, aber in fremden Städten war sie unersetzlich. Beherzt legte ich sie auf den Beifahrersitz, orientierte mich wie früher, als Susi noch nicht mitfuhr, an den Straßenschildern und fand mein Ziel ohne Probleme. In Zukunft müsste ich etwas freundlicher zu meinem Navigationsgerät sein und es ordentlicher an der Windschutzscheibe befestigen. „Okay, Susi, hab dich nicht so“, lenkte ich versöhnlich ein, „du hast ja oft recht.“ Ich überlegte kurz und ließ mir ein Hintertürchen offen. „Aber die Freiheit, selbst zu entscheiden, welche Strecke ich wähle, die lasse ich mir von dir nie und nimmer nehmen!“
Rezension
Die schöne Art „frei zu sein“. Über die Anthologie „Freiheit …hier und anderswo“ von Dr. Esther Morales-Cañadas

Als Autorin und neues Mitglied der Creativo Gruppe wurde ich eingeladen, in der Anthologie „Freiheit…hier und anderswo“ mit einem Artikel teilzunehmen. Nicht ahnend, was darin enthalten sein kann, entschied ich mich für eine etwa philosophische Betrachtung der Freiheit, die für mich zum Lebensinhalt geworden ist. Das Buch ist nun fertig, wunderbar und liebevoll gestaltet und ich war neugierig darin zu lesen. Und da begann meine Faszination: Wie ein Fächer, der sich aus kleinen Mosaiksteinen bildet, öffneten sich für mich 21 (ich bin die 22te) verschiedene Menschencharaktere, die sich nach der Freiheit sehnen oder gesehnt haben. Die Vielfalt der Geschichte, Artikel, Anekdoten, Gedichte, Berichte, u.v.m. beschreiben die Züge der Lebenseinstellungen meiner Mitautoren und deren Bezug zu diesem begehrten Zustand der Freiheit oder des“ frei zu sein“.

Einige Autorinnen/Autoren beschäftigen sich mit dem Leben in der DDR als Gegensatz des „frei zu sein“. Damit werden wir ermuntert, unsere heutigen Freiheiten wahrzunehmen und zu schätzen. Andere erzählen Geschichten von winzigen Momenten der freien Entscheidung oder lassen dieses „was wäre geschehen, wenn wir hätten frei sein können“ als Frage offen. Andere konfrontieren den Leser mit elenden und schweren Geschichten von sich selbst oder von anderen und, ohne das Wort Freiheit zu erwähnen, fordern sie uns auf nachzudenken, ohne den moralischen Zeigefinger zu benutzen.

Jede Autorin und jeder Autor zeichnet ihre/seine Persönlichkeit durch ihre Schreibstil, aber auch durch ihre Beschreibung des möglichen und ersehnten Gefühls von Willensfreiheit. Das Buch zu lesen, war für mich eine Bereicherung! Eine Art Botschaft!

Ich konnte so diese für mich noch unbekannte Autorinnen und Autoren kennenlernen und feststellen, dass alle in ihren Texten – trotz der Unterschiedlichkeit und Länge- zu dem gleichen Schluss wie ich kommen: frei zu sein, ist an glücklich sein verbunden und beide sind exklusiv das Resultat unserer freien Entscheidung. Ich gratuliere uns allen und bedanke mich für die Aufnahme in eine sowohl künstlerisch als auch menschlichen Gruppe.

Klappentext

Freiheit – für uns ein fast alltägliches Wort.
Für andere Menschen ein gewaltiges Wort, ein unerreichbarer Zustand.

Wir leben heute in einem freien Land. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit. Die allermeisten Menschen auf unserem Planeten sind nicht frei.
Auch bei uns gab es unfreie Zeiten. Vor 30 Jahren fiel die innerdeutsche Grenze und die Mauer in Berlin. Tausende Menschen strömten von Ost nach West und umgekehrt.
Viele suchten die Freiheit. Haben sie sie gefunden?

In besonderem Maße waren Berlin als geteilte Stadt und das Eichsfeld als geteilte Landschaft von der Teilung betroffen. Ist nach all den Jahren der Einheit die Freiheit noch das, was die Menschen heute suchen?
Haben sie genügend für ihre Freiheiten gekämpft und das Erreichte sorgfältig gepflegt?
Viele Freiheiten sind für uns heute selbstverständlich geworden. Setzen wir uns dafür ein, dass sie nicht leichtfertig verspielt werden.
Die Autorinnen und Autoren der Creativo stammen aus Ost und West, aus Nord und Süd. Sie erzählen in diesem Buch in vielfältiger Weise, wie sie Freiheit erlebt haben und noch erleben. Die Geschichten handeln von Menschen, die nicht frei sind, erzählen von Träumen, die vom Wunsch nach Freiheit geprägt sind, oder beleuchten in humorvoller Weise die kleinen Unfreiheiten des Alltags.

Nehmen Sie sich die Freiheit einer Pause, lehnen sich zurück und lassen sich entführen in die Freiheit der Gedanken.