Inhalt
1tes Kapitel – Alte Geschichten
Die Geschichte vom Schaukelpferd
Wie meine Schwiegermutter zu ihrem Namen kam
Unser Küchentisch
Die Stubenmöbel unserer Tochter
Mohn als Beruhigungsmittel
99 Pflaumenknödel
Eine haarige Rache
Kinderdienst
Die Geschichte vom Bügeleisen
Die Sache mit dem Fußball
Der Übeltäter
Gustav und die große Welt
Geheimnisvolle Schritte
2tes Kapitel – Heimgeschichten
Else oder Elsbeth
Alwine Ternau
Frau Kraus
Wie duscht man?
Nächtliche Ausflüge
Der Diebstahl
Familie Braunau
Es ist noch zu früh
Nur wenige Worte
3tes Kapitel – Lebensbilder
Eiliger Transport
Karins Ausflug
Keine Arbeitserfahrung?
Die geparkte Ehefrau
Der Hemdenkauf
War es Berufung?
Und dann kam er
Der Schulmeister
Ein nächtlicher Besucher
Haare schmücken
Eine haarige Geschichte
Eine Auszeit
Klaas Breuker
Klaas hat Konfirmation
Das Ende der Schulzeit
4tes Kapitel – Tiergeschichten
Die Kuh des kleinen Mannes
Der mutige Kikeriki
Für ein dummes Huhn kann Freiheit tödlich sein.
Ich wollt ich wär ein Huhn
Gemeinsam sind wir stark
Katjas Festschmaus
Gluksch
Kostbare Kreuzottern
Unsere Hühner
Unglück bei den Untermietern
5tes Kapitel – Gedanken
Gedanken über den Zeitgeist
Treppen auf und ab
Wie wird aus Milch Käse
Meine Geschichte vom Brot
Welcher Gott?
Zu unserer Wohnung im ersten Stock führte eine lange Treppe ohne Podest. Martin, mein Jüngster, war sieben Monate alt. Alle meine Kinder lagen als Babys viel am Boden, konnten sie da doch nirgends herunterfallen und so langsam ihre Umwelt erkunden. Martin begann zu krabbeln und hatte es eines Tages bis in den Flur geschafft. Es wurde Zeit, das Gitter vom Boden zu holen, um die Treppe vor dem Kind zu sichern.
„Ja, wir machen das morgen, ich passe schon auf“, sagte ich zu meinem Mann.
Am nächsten Morgen, mein Mann war ins Büro gegangen und ich war noch in der Küche. Plötzlich ein Poltern im Flur und das Baby war weg. Ich rannte los und sah mein Kind am Fuß der Treppe liegen. Wie ich hinunter zu ihm kam, wusste ich später nicht mehr zu sagen. Ich hielt das schreiende Kind in meinen Armen und meine Tränen nahmen kein Ende. Schließlich raffte ich mich auf, trug den kleinen Kerl nach oben auf den Wickeltisch und konnte keine Verletzung feststellen. Trotzdem rief ich unseren alten Hausarzt an. Er kam sofort. Das erste, was er sagte, als er den Flur betrat: „Sagen sie nur nicht, dass ihr Kind hier heruntergefallen ist?“
Doch, das war es. Er untersuchte meinen Kleinen und diesem war nichts passiert. Er hatte sich wohl zusammengerollt und war wie ein Ball von Stufe zu Stufe gefallen. Er hatte noch nicht einmal eine Gehirnerschütterung.
„Und da sage einer, Kinder haben keinen Schutzengel“, waren die Worte des Arztes.
Es gibt Treppen, die braucht man nicht steigen. Man stellt sich darauf und es geht auf- oder abwärts. Das sind die Rolltreppen. Lange Zeit habe ich sie gemieden. Mit zunehmendem Alter schätze ich sie aber immer mehr. Mit einer Rolltreppe verbindet mich ein besonderes Erlebnis.
Es war in München in dem Herbst der olympischen Spiele. Die Spiele waren vorbei und mein Mann und ich besuchten diese schöne Stadt. Das Wetter war herrlich und wir sahen uns verschiedene Sportstätten an. Wir benutzen die Straßenbahn, für uns Leute vom Lande gewöhnungsbedürftig. Eine neue Sache war die U-Bahn, die in vier Etagen unter der Erde verkehrte. Mein Mann wollte unbedingt ein Stück mit dieser Bahn fahren, egal wohin und wieder zurück. So gingen wir am Marienplatz durch die Sperre und betraten die Rolltreppe und es ging hinunter in die Tiefe. Ich sah plötzlich nicht mehr Anfang oder Ende und immer weiter ging es hinab. Ich bekam eine derartige Panik, bin ich doch nicht gern unter der Erde. Ich meide Höhlen und Besucherbergwerke. Hier war ich gefangen. Nie würde ich mit dieser Bahn in der Tiefe fahren. Endlich waren wir am Bahnsteig angekommen. Ich zitterte und bat meinen Mann, mit mir nach oben zu fahren. Das war nicht möglich, denn alle Rolltreppen kamen nach unten. Auf der anderen Seite des Gleisbettes führten die Treppen nach oben, dahin konnte man nicht gelangen. Eine ältere Dame sah meine Angst und tröstete mich.
„Gleich kommt eine Bahn, da können sie hindurchgehen und auf der anderen Seite hochfahren.“
So haben wir es gemacht und ich war glücklich, als ich ein Stückchen Himmel sah.
U-Bahnen habe ich später öfter benutzen müssen, aber es nie gern getan. So eine lange Rolltreppe habe ich nirgendwo mehr vorgefunden. Ich möchte immer gern Anfang oder Ende sehen.
Und da ist dann noch eine ganz besondere Treppe, es ist die Treppe unseres Lebens, meines Lebens.
Auch sie geht auf- und abwärts. Ich bin immer froh, wenn ich feststellen kann, dass es aufwärtsgeht. Andererseits habe ich von der langen Rolltreppe in München gelernt, dass es immer einen Weg nach oben gibt. Man muss oft Geduld haben und warten können. Manche Treppen in meinem Leben waren rau und steinig und ganz oft musste ich Balken und Steine erst räumen, um weitergehen zu können. Aber es gab auch Podeste, wo ich mich ausruhen konnte und es gab schöne Aussichten. Manche Stufen führten um Ecken und ich sah nicht, wie es weitergehen konnte, weil alles im Nebel lag, aber immer wieder kam der nächste Tritt. Nur Kristallstufen, nein, Kristallstufen gab es für mich nicht. Gibt es die überhaupt?
So ist es mit den Treppen. Zu Beginn meines Lebens habe ich mit Sicherheit die Hände zu Hilfe genommen, um nach oben zu kommen. Dann gab es eine Zeit in meinem Leben, da waren die Stufen in unserem Haus für mich zu flach und ich nahm aufwärts immer zwei Tritte. Und heute? Ich gehe Schritt für Schritt und wenn es schnell gehen soll, benutze ich wieder ab und zu beide Hände, um mich abzustützen. Ich bin froh, dass ich das Ende meiner Lebenstreppe nicht sehen kann und möchte noch ein wenig weitergehen, bitte, wenn möglich ohne Steine.
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