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Die Tochter der Flötenspielerin

Autor:
Dr. Walter Kiefl
Verlag:
Mentalibre; München
Erscheinungsjahr:
2018
Sonstiges:

619 Seiten, Pb.,
ISBN: 978-3-940223-41-8
Preis: 20,00 Euro

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Leseprobe
Einführung

Das am Ende des dritten vorchristlichen Jahrhunderts nur noch Ägypten umfassende Ptolemäerreich hatte seinen machtpolitischen Höhepunkt nach dem Tod von Ptolemaios III. Euergetes überschritten und befand sich gegenüber den anderen Diadochenreichen von da an weitgehend in der Defensive. Während sich der 222 v. Chr. im Alter von 23 Jahren gekrönte Sohn und Nachfolger Ptolemaios IV. Philopator, der nicht zu Unrecht zusätzlich den inoffiziellen Beinamen Tryphon (Schwelger) trug, kostspieligen Ausschweifungen hingab, wurden die Regierungsgeschäfte von seinem Berater Sosibios und dem Geschwisterpaar Agathokles und Agathokleia wahrgenommen.

Sosibios und die Familie des Agathokles (wozu neben Agathokleia noch zwei weitere Schwestern und deren Mutter Oinanthe gehörten) hatten angesichts des schwachen Königs ein leichtes Spiel, ihren Einfluss auszudehnen, ihren Reichtum zu mehren und potentielle Rivalen auszuschalten. Die ersten namhaften Opfer waren Philopators Mutter, Bruder und Onkel, die schon bald nach der Thronbesteigung des neuen Herrschers der Verschwörung gegen ihn beschuldigt und daraufhin ermordet wurden. Knapp zwanzig Jahre später war durch den Tod des als „Zerrbild eines verkommenen östlichen Herrschers“ (Bernhardt 2004, S.245) bezeichneten Königs, der kurz darauf veranlassten Ermordung seiner Schwestergemahlin Arsinoe und der Machtübernahme des seiner Aufgabe nicht gewachsenen Agathokles eine äußerst labile innenpolitische Situation entstanden.

Ptolemaios IV. hatte wenig Interesse an seinen Amtsgeschäften, was durch seinen Minister Sosibios genutzt und gefördert wurde. Er war wohl die intelligenteste Figur am Hof und gilt als „… die erste jener sophistisch-machiavellistischen, ehrgeizigen, von den Lebensformen des Orients stark beeinflussten Gestalten, die aus eigener Machtsucht kein Mittel scheuten, das ihnen Raum verschaffte, und die damit den Untergang des ptolemäischen Ägypten einleiteten. Zwar half ihnen ihre wache Intelligenz oft, aber nur zu ihrem eigenen Nutzen, und auf die Dauer war das verhängnisvoll. … Da sie nicht selbst König sein konnten, versteckten sie sich, wenn es möglich war, hinter Frauen oder zu jungen Königen“ (Schneider 1967, S. 516). Aus dieser sich aus mehreren Quellen ergebenden Charakterisierung lässt sich vermuten, dass Sosibios für seine Zwecke auch Agathokleia einsetzte und diese auch von ihm profitierte. Zumindest am Anfang dürfte Agathokleia auch ihr eitler und oft unbedachter Bruder Agathokles hilfreich gewesen sein, der in seiner Jugend Buhlknabe zuerst von Ptolemaios III. Euergetes und dann von Philopator gewesen sein soll und später gemeinsam mit Sosibios die Regentschaft führte. Nach Sosibios Tod auf sich allein gestellt erwies er sich jedoch als unfähig, sowohl die Macht zu behaupten als auch sein Leben und das seiner Familie zu retten. Die Abfolge der Ereignisse vom Herbst 203 rechtfertigen jedenfalls das vernichtende Urteil von Polybios über ihn: „Agathokles hat weder je soldatische Tapferkeit noch hervorragende militärische Fähigkeiten bewiesen noch als Staatsmann Erfolge gehabt und Vorbildliches geleistet, hat sich nicht einmal in den Hofintrigen durch besondere Schlauheit ausgezeichnet, wie es zum Beispiel das Lebenselement des Sosibios war, einen König nach den anderen in seiner Hand zu haben und zu beherrschen. Agathokles gingen all diese Eigenschaften völlig ab. Seinen erstaunlichen Aufstieg verdankt er der Unfähigkeit von Ptolemaios Philopator als Regent. Zur höchsten Stelle gelangt und nach dem Tode jenes Königs im Besitz aller Möglichkeiten, seinen Einfluss zu behaupten, erwies er sich doch in kurzer Zeit als die Null, die er war, und verlor durch Feigheit und Energielosigkeit zugleich Macht und Leben. An Leute wie diese lohnt daher nicht, viele Worte zu verschwenden.“ (Polybios XV, 34).

Über die Herkunft von Agathokleia und ihrer Familie gibt es keine verlässlichen Angaben. Vermutlich stammte sie von der Insel Samos. Über ihr Geburtsjahr ist nichts bekannt; es dürfte zwischen 245 und 237 v. Chr. gelegen haben, sodass sie bei ihrer Hinrichtung Ende 30 bis Anfang 40 war. Ihre Mutter Oinanthe, eine vormalige Bordellwirtin, soll aus einfachen Verhältnissen gekommen sein und wurde an Ptolemaios III. Euergetes (geboren um 276; Regierungszeit 246 bis 222) verkuppelt. Offenbar gelang es ihr, großen Einfluss auf den König zu nehmen, ihre Kinder am Hof einzuführen und deren Karriere zu ebnen. Polybios schreibt ihr eine wichtige Rolle bei der Ermordung der Königin Berenike zu und auch die Mitwirkung am Tod des durch seine Ausschweifungen zerrütteten Ptolemaios IV. wird ihr zur Last gelegt. Zwischen Oinanthes Schicksal und dem ihrer Tochter zeigen sich bemerkenswerte Parallelen. Auch Agathokleia arbeitete vermutlich als Prostituierte, bis es ihr durch Oinanthes Karrieresprung ermöglicht wurde, ihre Tätigkeit auf einem höheren Niveau fortzusetzen und schließlich eine außergewöhnliche Stellung einzunehmen. Sicher war sie kein Ausbund an Sittsamkeit und Tugend, doch sollte dabei bedacht werden, dass Frauen in dieser Epoche nur dann aufsteigen und längere Zeit im Zentrum der Macht überleben und handeln konnten, wenn sie zusätzlich zu ihrer Attraktivität über ein gewisses Maß an Gerissenheit und Durchsetzungsfähigkeit verfügten.

Die Erhebung von 203 hat eine lange Vorgeschichte. 246 n. Chr. war ein Schicksalsjahr der Dynastie, nachdem Ptolemaios III. Euergetes seine mit dem Seleukidenkönig Antiochos II. verheiratete Schwester Berenike durch einen Mordanschlag verloren hatte. Im gleichen Jahr heiratet er Berenike von Kyrene, womit ihm diese Stadt und das umliegende Gebiet im heutigen Libyen zufiel. Die ihrem Gatten gegenüber weitgehend gleichberechtigte Königin wird in zeitgenössischen Quellen als tatkräftig und umsichtig, politisch klug, wohltätig, schön und mütterlich charakterisiert. 246 wurde auch Euergetes Sohn und Nachfolger, der spätere Ptolemaios IV. Philopator geboren. Als Erzieher diente ihm der berühmte Naturwissenschaftler Eratosthenes von Kyrene, der von der Kugelgestalt der Erde ausging und als erster ziemlich exakt ihren Umfang berechnet hatte. Es scheint Eratosthenes allerdings nicht gelungen zu sein, ernsthafte Interessen des Prinzen zu wecken. Vermutlich hat Berenike Philopators mangelnde Befähigung zum Herrscheramt erkannt und wollte nach dem Ableben ihres Gemahls ihren jüngeren Sohn Magas zum Nachfolger zu erheben. Daraufhin ließ der neue König – vermutlich von dem um seine Macht fürchtenden Sosibios beeinflusst – Mutter, Bruder und weitere Angehörige vergiften.

Durch die kurz nach Philopators Regierungsantritt einsetzende große Inflation wurde der wirtschaftliche und politische Spielraum des Reiches eingeschränkt. Auch der bereits erwähnte Sieg bei Raphia 217 v. Chr. im 4. Syrischen Krieg trug langfristig zur Destabilisierung bei, da der Erfolg vor allem den einheimischen ägyptischen Verbänden zu verdanken war, deren Selbstbewusstsein damit stark zugenommen hatte. So kam es in der Folgezeit immer wieder zu Rebellionen gegen die unbeliebte und weitgehend als Fremdherrschaft betrachtete Dynastie. Ende 206 brach im Süden ein Aufstand aus, der der Thebais zu einer fast 20jährigen Selbständigkeit verhalf.

219 v. Chr. hatte Ptolemaios IV. seine Schwester Arsinoe geheiratet. Diese inzestuöse Verbindung ist weder ein Beleg für Dekadenz noch für eine Liebesbeziehung, sondern imitiert den bereits im Pharaonenreich belegten Brauch von Bruder-Schwester Verbindungen, was den Ptolemäern als Fremdherrschern Legitimität verleihen sollte, aber auch unmittelbare praktische Gründe hatte. Schon aufgrund der charakterlichen Unterschiede (Arsinoe galt als klug und zielstrebig, Philopator als faul und dekadent) kann man davon ausgehen, dass die Geschwister kein gutes Verhältnis zueinander hatten. Dem widerspricht nicht der 215 v. Chr. eingerichtete Kult für das königliche Geschwisterpaar. Drei Jahre später wurde der inzwischen zu Philiopators Nebengemahlin aufgestiegenen Agathokleia das Amt der Kanephore der Königin verliehen, was das vermutlich ohnehin prekäre Verhältnis der beiden Frauen zueinander noch verschärft haben dürfte. Um sich im Falle eines vorzeitigen Ablebens ihres Brudergemahls die Regentschaft zu sichern, sorgte Arsinoe dafür, dass ihr 210 v. Chr. geborener Sohn, der spätere Ptolemaios V. Epiphanes bereits als Säugling zum Mitregenten seines Vaters ernannt wurde. Als Ptolemaios IV. im Juli 204 im Alter von 41 Jahren starb, bestand für Sosibios und Agathokles die Gefahr, dass Arsinoe als Vormund und Regentin die Herrschaft übernehmen könnte. Da sie aus nachvollziehbaren Gründen den beiden vermutlich nicht gewogen war, mussten sie und ihre Anhängerschaft damit rechnen, entmachtet zu werden. Die Rettung wurde darin gesehen, ihr zuvorzukommen und sie zu beseitigen. Zur Sicherung ihrer Machtstellung hielten die Verschwörer den Tod des Königs einige Zeit geheim, sorgten für die Ermordung der Königin und präsentierten ein gefälschtes Testament, das sie als Regenten einsetzte und den fünfjährigen Thronfolger in die Obhut von Agathokleia und deren Mutter gaben. Inwieweit diese Taten vorausgeplant waren oder relativ improvisiert und panisch erfolgten, lässt sich aufgrund der Quellen nicht entscheiden; für die zweite Alternative spricht die schnelle Abfolge und das dilettantisch anmutende Vorgehen. Strittig ist die Beteiligung Agathokleias daran. Auch sie musste die Königin fürchten und profitierte von ihrem Ableben und dem gefälschten Testament, aber es ist bemerkenswert, dass sie nicht einmal der kritische und relativ zeitnah berichtende Polybios der Mittäterschaft bezichtigte.

Sosibios und Agathokles hatten bei der Beseitigung der Königin und der Fälschung des Testaments die feindselige Stimmung ihnen gegenüber offenbar nicht genügend berücksichtigt. Es gelang ihnen nicht, die Gerüchte zu zerstreuen, und nur durch Bestechung und Einschüchterung wurde eine vorläufige und oberflächliche Beruhigung der Bevölkerung und der Söldner erreicht. Demselben Zweck sollte auch die Versetzung altgedienter Truppen und die Beauftragung potentieller Rivalen mit diplomatischen Missionen ins Ausland dienen. Während diese Maßnahmen zunächst noch wirksam erscheinen und vielleicht noch unter der Mitwirkung von Sosibios zustande gekommen sind, spiegeln die kurz darauf erfolgenden Aktionen den planlosen und willkürlichen Charakter von Agathokles wider, der wichtige Ämter mit unfähigen und verhassten Personen besetzte, die Zeit mit Trinkgelagen und Ausschweifungen vergeudete und in aller Öffentlichkeit Frauen nachstellte und ihnen Gewalt antat. Indem sich Agathokles provokativ zum inoffiziellen Alleinherrscher machte, forderte er potentielle Gegner wie den populären General Tlepolemos heraus und zwang sie – schon allein ihrer Selbsterhaltung willen – zum Handeln. Als die feindselige Stimmung unter den Soldaten und in der Bevölkerung wieder anschwoll und seine Gegner immer mehr Zulauf bekam und schließlich gegen Alexandria vorrückte, handelte Agathokles kopflos, indem er nun – anstatt zumindest sich und die seinen in Sicherheit zu bringen – an das Mitleid der Aufrührer appellierte und – als dies keinen Erfolg zeigte – Anhänger und Verwandte seines Gegenspielers beleidigte, entehrte, ins Gefängnis werfen und foltern ließ. Sein weiteres Verhalten ist durch ein Schwanken zwischen Fluchtplänen, Gewaltmaßnahmen, Trinkgelagen und Lethargie gekennzeichnet. Als er die Nachricht erhielt, dass sich Tlepolemos mit seinen Truppen der Stadt näherte „..brachte ihn (dies) derart aus der Fassung, dass er völlig den Kopf verlor und das Handeln vergaß“ (Polybios XV, 29-30). Als er endlich wieder nüchtern war, begab er sich mit sämtlichen Familienmitgliedern zum (unmündigen) König und verschanzte sich mit ihm im Palast. Die aufgebrachten Söldner forderten die Überlassung des Kindes und Agathokles vertat seine letzte Chance, indem er sich ihren Forderungen bedingungslos beugte. Eigenartigerweise gaben sich die Söldner damit zufrieden, verschafften Agathokles und seiner Familie eine letzte – aber ungenutzte – Chance zur Rettung und brachten das Kind ins Stadion, wo sich bereits eine große Menge versammelt hatte. Diese war mit dem Erreichen nicht zufrieden und forderte lautstark die Bestrafung der ihrer Meinung nach Schuldigen. Dazu nötigte man dem verängstigten Kind seine Zustimmung ab. Sogleich machten sich Söldner daran, Agathokles samt Familie und Helfer aufzuspüren. Diese hatten die Situation entweder immer noch nicht richtig eingeschätzt oder waren in Lethargie verfallen. Jedenfalls schienen sie nichts Zweckdienliches zur Rettung unternommen zu haben. Alle wurden ins Stadion gebracht und dort vom blutgierigen Pöbel in einer Orgie von Gewalt zerfleischt.
Art und Ablauf der Ermordung von Agathokles und seiner Familie lassen sich vordergründig im Sinne eines spontanen kollektiven Ausdrucks angestauter und durch die Massensituation im Stadion noch verstärkter destruktiver und zur zeitweiligen Entmenschlichung führenden Emotionen erklären, wie man sie – in weniger blutigerer Art – auch noch heute im Anschluss an emotional aufgeheizte Fußballspiele, Rockkonzerte, Demonstrationen u.ä, beobachten kann. Der hier von Polybios beschriebenen Fall weist zusätzlich noch auf die sadistische Motivlage des Zerstücklers hin. Dieser Typus des Lustmörders findet seine Befriedigung weniger im Töten als im Verstümmeln seiner Opfer. Das Zerstückeln stellt eine Kastrationshandlung dar, indem das Interesse meist primär – aber nicht ausschließlich – den Genitalien gilt. Bemerkenswerterweise findet sich das Zerstückelungsmotiv sowohl im altägyptischen Mythos von Isis und Osiris als auch im durch Zügellosigkeit charakterisierten Dyonisioskult der Griechen, wobei die von der Gewalt des Gottes erfüllten Frauen (Mainaden) in ekstatischer Raserei Berge und Wälder durchstreifen und alles Lebende, das ihnen begegnet, zerreißen.

Wie schon so oft in der Geschichte wurden die Hoffnungen der Mitwirkenden an der Revolution enttäuscht. Der siegreiche Tlepolemos konnte sich seiner Macht nicht lange erfreuen. Schon zwei Jahre später wurde er aufgrund seiner administrativen Unfähigkeit abgesetzt und nach Xanthos verbannt. Aufgrund der innenpolitischen Schwäche des Landes hatten sich die Rivalen Antiochos III. von Syrien und Philipp V. von Makedonien gegen Ägypten verbündet und im Verlauf des Fünften Syrischen Krieges (202-196) v. Chr. die meisten Besitzungen außerhalb des Kerngebietes an sich gebracht, was für das Land beträchtliche wirtschaftliche Einbußen zur Folge hatte.

Der für den noch unmündigen Ptolemaios V. eingesetzte Regent Aristomenes von Alzeya, ein früherer Anhänger von Agathokles, musste 196 v. Chr. einen Friedensvertrag mit Antiochos III. abschließen. Unter ihm kehrten im Land wieder geordnetere Zustände ein, doch trugen vermutlich Misserfolge bei Unterdrückung des seit 206 v. Chr. andauernden Aufstands in der Thebais zu seinem um 192 v. Chr. erfolgten Sturz und Selbstmord bei. Nachfolger wurde Polykrates von Argos, der sich 197 v. Chr. für die frühzeitige Mündigkeit des erst 13jährigen Ptolemaios V. einsetzte, der im Jahr davor – offenbar zur Bekräftigung des Friedensvertrags mit Antiochos mit dessen Tochter Kleopatra (Kleopatra Syra bzw. Kleopatra I.) vermählt wurde. Nach der Ermordung des erst 30jährigen Königs übernahm seine Witwe mit Unterstützung der Eunuchen Eulaios und Lenaios die Regentschaft für den sechsjährigen Thronfolger Ptolemaios VI.. Nach dem vier Jahre später erfolgten Tod der Königin übernahmen diese die Staatsgeschäfte allein, wobei sie zur Aufwertung und Absicherung ihrer Stellung den zukünftigen König mit seiner ein Jahr jüngeren Schwester Kleopatra (Kleopatra II.) vermählten und beide zu „mutterliebenden Göttern“ erklären ließen. Im Unterschied zu Kleopatra I. vertraten die militärisch völlig unerfahrenen Regenten eine offensive Politik gegen das Seleukidenreich. Der 170 v. Chr. begonnene Sechste Syrischen Krieg endete daher schon bald mit einer vernichtenden Niederlage Ägyptens gegen Antiochos IV., woraufhin die Eunuchen gestürzt wurden; Nachfolger wurden die Höflinge Komanos und Kineas, die eine „Dreierregierung“ des 16jährigen Ptolemaios VI. und der 15jährigen Kleopatra II. mit ihrem 12jährigen Bruder, dem späteren Ptolemaios VIII. installierten. Dessen ungeachtet ging der Krieg weiter. Die Syrer drangen erneut vor und belagerten Alexandria. Als sich eine Annäherung zwischen Ptolemaios VI: und Antiochos IV. anbahnte, widersetzte sich die Stadt der bevorstehenden Vereinbarung und proklamierte Ptolemaios jüngeren Bruder Ptolemaios (VIII.) zum König. Nachdem die Belagerer aufgrund innerer Schwierigkeiten und des auf sie von den Römern ausgeübten Drucks wieder abziehen mussten, kam es zu einer Neuauflage der Dreierherrschaft, was Antiochos IV. als Bruch der mit Ptolemaios VI. getroffenen Vereinbarung ansah und ihn zu einem abermaligen Kriegszug veranlasste, in dessen Verlauf das Delta besetzt und Memphis eingenommen wurde. Nur das Eingreifen der Römer rettete die Unabhängigkeit des Landes, wobei der Gesandte C. Popillius Laenas den seleukidischen König durch ein Ultimatum zum sofortigen Rückzug aus Ägypten und Zypern zwang.

Die (auch aufgrund des Krieges und der Kriegsfolgen) immer drückendere Steuerlast führte zu einer weiteren Verschlechterung der Lage der bäuerlichen Bevölkerung, zu einer zunehmenden Landflucht und zu Unruhen im Fajum. In dieselbe Zeit fällt auch ein neuer Aufstand in der Thebais und die Rebellion des Dionysios Petosarapis, eines ehrgeizigen Höfling, der es bis zum Syngenes brachte. Um selbst an die Macht zu kommen, versuchte er, die königlichen Brüder gegeneinander auszuspielen, indem er vor dem jüngeren Ptolemaios angab, von seinem Bruder den Auftrag erhalten zu haben, ihn zu töten. Dieser mobilisierte daraufhin die Massen, die sich empört im Stadion versammelten. Ptolemaios VI. trat vor die Menge, beteuerte seine Unschuld und bot dem Bruder die Königswürde an. Daraufhin versöhnten sich die Brüder und die Menge beruhigte sich. Nachdem seine Intrige gescheitert war, floh Dionysos. Er scharte rund 4.000 unzufriedene Söldner, um sich, doch wurde er von den Truppen des Königs besiegt. Abermals gelang ihm die Flucht. Er sammelte unter den Ägyptern neue Anhänger. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

Der vorliegende an „Die Flötenspielerin“ anknüpfende Roman umfasst einen Zeitraum von 40 Jahren, nämlich von 203 v. Chr. (Ende der Regentschaft des Agathokles) bis 164 v. Chr. (Rebellion des Dionysios Petosarapis), also die Regierungszeiten der Könige Ptolemaios V. Epiphanes (204 – 180 v. Chr.) und einen Teil der Herrschaft der Könige Ptolemaios VI Philometor (180 – 164 v. Chr.) und Ptolemaios VIII. Euergetes II. (ab 164 v. Chr.). Protagonistin ist die junge Witwe Lais, die (historisch nicht belegte) Tochter der 203 v. Chr. ermordeten Agathokleia. Bei ihren Bemühungen um das Erbe ihres verstorbenen Ehemannes zieht sie sich die Feindschaft der korrupten Regenten Eulaios und Lenaios zu, doch gelingt es ihr, sich eine Stellung als Kindererzieherin am Königshof in Alexandria zu verschaffen. Ungeachtet ihrer Verwicklung in gefährliche Intrigen gewinnt sie nach einer gescheiterten Liebesbeziehung sowohl die Zuneigung des Königs als auch – nach dessen Tod – der Königin, doch büßt sie aufgrund eigener Fehler ihre privilegierte Stellung bereits nach kurzer Zeit wieder ein. Dank ihrer Attraktivität und Bildung kann sie sich in der Folgezeit ihre Unabhängigkeit als Geliebte wohlhabender und einflussreicher Männer behaupten – allerdings auf Kosten ihrer halbwüchsigen Tochter, die zunehmend Schwierigkeiten mit der freizügigen und nur auch Lust und Luxus ausgerichteten Lebensweise ihrer Mutter hat und sich schließlich enttäuscht und verbittert von ihr abwendet. Geblendet von ihren Erfolgen erkennt Lais zu spät, in welche Gefahren sie sich durch ihr skrupelloses Spiel mit der Macht begeben hat.
Rezension
Die Tochter der Flötenspielerin von Walter Kiefl

Im meisterhaften Schreibstil erschien Mitte des Jahres der zweite Band der „Ptolomäer-Trilogie“ von Walter Kiefl, unter dem Titel: „Die Tochter der Flötenspielerin“. Im Vergleich zum ersten Roman basieren die Handlungen und Eigenschaften der Personen mehr auf die freie Fantasie des Autors und weniger auf historische Überlieferungen, wahrscheinlich, weil es weniger darüber gibt. Das Zentralthema ist diesmal die Darstellung der Persönlichkeit und Lebenslauf der Hauptfigur Lais, Tochter der im ersten Band dargestellten Agathokleia, die Flötenspielerin. Erst am Ende erfährt man, dass es sich in Wirklichkeit um eine Art Autobiographie jener handelt, welche sie für ihre Tochter niedergeschrieben hat und in der sie ihr Handeln oder Benehmen irgendwie entschuldigen möchte. Dazwischen sind aber auch Chroniken und Dialoge zwischen anderen Romanfiguren. Solche Gestaltung erinnert zum Teil an die von einer Oper. In dieser musikalischen Gattung alternieren sich Rezitativen mit Duos oder Trios und Arien, die von den Solisten gesungen werden und so geschieht dies hier: die Rezitative sind die Chroniken, die Arien sind die Erzaehlungen von Lais, und die Duos und Trios sind die Dialoge anderer Personen, die am meisten die Beschreibung der Geschichte und der Ereignisse in Bewegung bringen.

Lais, die Zentralfigur, hat gar nicht die positiven Eigenschaften ihrer Mutter Agathokleia. Sie ist eine eigenwillige und verwöhnte Frau, egoistisch und egozentrisch und, was noch schlimmer ist, eine Opportunistin. Deswegen wird sie wahrscheinlich keine große Sympathie unter den Lesern finden. Im Gegensatz dazu war der Charakter ihrer Mutter liebenswerter, trotz anfänglicher Überheblichkeit, unter anderem durch ihre Liebe zum Priester Ptah-hotep. Nicht so wie die Tochter, welche alles durch Glück und Hilfe erreicht, ohne es sich tatsächlich verdient zu haben.

Unter den Menschen, die mit Lais verkehren, gibt es alle möglichen Typen. Kiefl entpuppt sich hier als wahrer Kenner des menschlichen Verhaltens. Er beschreibt alle möglichen Charaktere mit sämtlicher Problematik und gibt Problemlösungen wie ein Psychologe oder ein Philosoph mit unendlicher Erfahrung. Das ist ohne Zweifel eine der Großartigkeiten des Buchinhalts, dass es eben tiefgründige Botschaften enthält. Wiederum entsteht ein Gegensatz zu der nihilistischen und negativen Vision der Menschheit von Seite des Autors, und man bekommt den Eindruck – genau wie beim ersten Band -, die Welt bestehe nur aus Bösewichten. Dazu beschreibt Kiefl ausführlich und bis ins kleinste Detail, all die Bosheiten, sowie die sexuelle Szene der Hurerei Lais`. Ohne Zweifel eine große Leistung und m.E. eine Modererscheinung unter den modernen Autoren des historischen Romans, ohne dass sie sich fragen, ob es wirklich notwendig ist, so viel Leiden an die Leser zu vermitteln. Nun erfährt der Leser in diesem zweiten Roman auch die wahre Reue einer der grausamsten Figur, der Nendesi, jene Frau, die aus Hass und Neid die Familie von Lais verfolgt, um sie zu vernichten. Die Worte von Nendesi und die Gedanken der Reue ist eine der rührendsten Szene des ganzen Romans, und auch wenn sie sich nicht in die Länge zieht, wird es auf den Punkt gebracht und gibt den Lesern viel zu nachdenken.

Den Schreibstil von Walter Kiefl kann man nur als souverän bezeichnen. Kiefl passt die Sprache der unterschiedlichen Figuren gezielt an und verknüpft diese mit einer unglaublichen Logik. Sie begegnen sich mit oft langen Zeitabständen und der Leser kann sich sofort an den ersten Roman erinnern und verstehen, warum auf einmal dieser oder jener Mensch in der Geschichte wieder auftaucht und was für einen Sinn es hat. Und auch die Leser, die nicht den ersten Band gelesen haben, können diese Verknüpfung klar durch Äußerungen der Personen verstehen. So bleibt das Interesse, dieses Buch von ca. 600 Seite bis Ende zu lesen, und entsteht sogar die Lust nach mehr… so warten wir gespannt auf den dritten Roman dieser Trilogie!

Dr. Esther Morales-Cañadas

Klappentext

Ägypten in der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts: Nach dem Tod ihres dreißig Jahre älteren Gemahls sieht sich die junge Tempelsängerin Lais mit Ablehnung und offener Feindschaft in ihrem gesellschaftlichen Umfeld konfrontiert. Um der für sie zunehmend unerträglicher werdenden Situation zu entgehen verlässt sie ihre bisherige Wirkungsstätte in Theben und begibt sich nach Alexandria, wo sie bis zur Gesellschafterin und Vertrauten der Königin aufsteigt. Aber auch dort findet sie keine Ruhe. Sowohl mächtige Höflinge als auch die ehemalige verschmähte Geliebte ihres verstorbenen Mannes wollen sich an der Tochter der früheren Mätresse Agathokleia für das ihnen angeblich zugefügte Unrecht während der Herrschaft von Ptolemaios IV. Philopator rächen. Mit Hilfe einflussreicher Gönner kann sich die sowohl umschwärmte als auch verhasste Hetäre lange Zeit gegen Nachstellungen und Intrigen behaupten, doch begeht sie aus Überheblichkeit, Stolz und Eifersucht verhängnisvolle Fehler, die sie in Lebensgefahr bringen.

Die Geschichte knüpft an den 2015 erschienen Roman „Die Flötenspielerin“ an, bildet aber eine in sich abgeschlossene Erzählung.

Alle Werke dieses Autors